Diversity verdient mehr als einen Kalendereintrag
Warum echte Vielfalt tägliches Engagement braucht, nicht nur einmalige Aufmerksamkeit
Der Deutsche Diversity Day ist wieder da und mit ihm die gewohnte Welle aus Pressemitteilungen, Social Media Posts und Veranstaltungen. Unternehmen nutzen diesen Tag, um ihre Haltung zu Vielfalt, Inklusion und Chancengleichheit zu kommunizieren. Das ist grundsätzlich richtig und wichtig. Problematisch wird es, wenn nach dem 27. Mai wieder Stille einkehrt.
Diese punktuelle Sichtbarkeit kann keine nachhaltige Diversity-Strategie ersetzen. Wer es ernst meint mit Vielfalt, muss täglich daran arbeiten und nicht nur an symbolträchtigen Aktionstagen. Doch genau hier offenbart sich ein grundlegendes Problem: Viele Organisationen behandeln Diversity wie einen Schalter, den man je nach Bedarf an- und ausknipsen kann.
Das Problem des Diversity Washing
Ein zentrales Problem ist das sogenannte Diversity-Washing: Unternehmen kommunizieren nach außen ihr Engagement für Vielfalt und Inklusion, ohne dass dies intern verankert ist oder nachhaltige Veränderungen bewirkt. Die Organisation gibt sich offen und progressiv, während intern wenig bis nichts passiert. Oft fehlen klare Strategien, messbare Ziele und verbindliche Maßnahmen. Es wird mal hier ein knapper 90-Minuten Workshop angeboten, mal dort an einem Diversity-Event teilgenommen und darüber gepostet. Aber eben wenig mit klar aufeinander aufbauender Struktur.
Dieses Phänomen ist nicht neu, hat aber in den letzten Jahren eine beunruhigende Dynamik entwickelt. Denn sich öffentlich zu Diversity zu bekennen, heißt nicht automatisch auch intern diverser zu sein, als andere. Schlimmer noch: Die öffentlichen Bekenntnisse können sogar als Alibi dienen, um echte Veränderungen zu vermeiden. Nach dem Motto: "Wir haben ja schon ein Statement veröffentlicht und die ‚Charta der Vielfalt’, was wollen Sie denn noch?“ I mean, no offense: das Unterzeichnen der Charta der Vielfalt ist ein wichtiger Schritt und ohne die dahinter stehende Organisation hätten wir den Deutschen Diversity Day vermutlich nicht. Aber ein bloßes, virtuelles Dokument zu unterschreiben, reicht einfach nicht aus.
Besonders perfide wird es, wenn jene Communications-Maßnahmen rein als Marketinginstrument missbraucht werden. Dann geht es nicht mehr um Menschen und ihre Chancen, sondern um Imagepflege und Kund*innenakquise. Die Botschaft wird zur hohlen Phrase, die paar wenigen, vielfältigen Menschen, die im schlimmsten Fall als Token auf den Fotos noch nach ganz vorne gedrängt stehen, werden zu Statist*innen in einem Corporate Theater.
Rückzug in unsicheren Zeiten
Besonders in der aktuellen politischen Situation zeigt sich, wie fragil viele Diversity-Bekenntnisse sind. Während manche Unternehmen ihre Anstrengungen verstärken, gehen andere bewusst den umgekehrten Weg: Diversity-Positionen werden gestrichen, Budgets gekürzt, Verantwortlichkeiten umverteilt. Ein besonders zynisches Beispiel sind die sogenannten ‚Umbenennungen‘, wenn aus Diversity Manager*innen plötzlich ‚Opportunity Manager*innen‘ oder ähnliches werden. Der Jobinhalt bleibt derselbe, nur das unliebsame Wort "Diversity" verschwindet aus der Stellenbezeichnung. Und das sagt schon einiges über das Commitment der zugehörigen Unternehmen aus. Aber immer noch besser, als wenn die Programme gänzlich eingestampft werden.
Diese Rückzugsbewegung folgt einem Muster: Sobald gesellschaftlicher oder politischer Druck entsteht, werden Diversity-Maßnahmen als erstes gestrichen. Sie gelten als optional, wenn’s gerade chic ist, aber nicht als business-critical - obwohl sie genau das sind. Das zeigt, wie oberflächlich viele Bekenntnisse zur Vielfalt tatsächlich sind. Wenn es darauf ankommt, erweisen sie sich als Schönwetter-Engagement.
Dabei übersehen diese Unternehmen einen entscheidenden Punkt: Diversity ist längst kein politisches Statement mehr, sondern Trägerin für zukunftsfähiges, wirtschaftliches Handeln und Überleben. Märkte werden globaler, Belegschaften diverser, Kund*innenschaft anspruchsvoller. Wer hier nicht mitgeht, verliert den Anschluss. Egal, was ein stark überhebliches Staatsoberhaupt, mit noch mehr abgehobener Gefolgschaft aus Südafrika, auf der anderen Seite des Atlantiks behauptet.
Der große Irrtum
Diese Entwicklung basiert auf einem hartnäckigen Irrtum: der Vorstellung, dass Vielfalt ein Nullsummenspiel sei. Nach dem Motto: Wenn andere mehr Teilhabe erhalten, verlieren die bisherigen Privilegierten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Vielfalt stärkt die Resilienz, Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit von Organisationen und damit auch die Benefits jener, die oben am Hebel sitzen. Sie erweitert Perspektiven, verkleinert bislang Übersehenes und ermöglicht bessere Zusammenarbeit.
Zahlreiche Studien belegen den positiven Effekt diverser Teams auf Unternehmenserfolg. Die schon zahlreich in unseren anderen Blog-Beiträgen zitierten Studien, die belegen, welchen positiven Einfluss Vielfalt uns soziale Nachhaltigkeit auf Organisation hat, möchte ich hier nicht noch einmal runterleiern. Das sind keine politischen Statements, sondern harte Fakten.
Trotzdem hält sich der Mythos, Diversity-Maßnahmen seien Bevorzugung auf Kosten der Leistung. Diese Denkweise verkennt, dass echte Chancengleichheit gerade darauf abzielt, die besten Talente zu finden, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder vielen weiteren Merkmalen. Wer weiterhin nur in homogenen Strukturen denkt, verschwendet Potenziale.
Die Realität ist längst vielfältig
Unsere Gesellschaft ist bereits vielfältig: Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Identitäten, Fähigkeiten und Lebensentwürfen prägen längst unsere Arbeitswelt. Diese Realität zu ignorieren oder gar aktiv zu unterdrücken ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern ökonomisch unklug. Wer sich heute gegen Vielfalt entscheidet, stellt sich gegen das, was morgen selbstverständlich sein wird.
Die demografische Entwicklung verstärkt diesen Trend noch. In Deutschland haben bereits knapp 30% der Bevölkerung eine Migrationsbiographie, bei den unter 25-Jährigen sind es sogar 40%, mehr als jede 10. Person (12%) gehört der LGBTQIA+ Community an und fast 10% leben mit einer Schwerbehinderung. Und das sind nur drei der zahlreichen Diversitäts-Dimensionen. Unternehmen, die diese Realität ignorieren, verpassen nicht nur Talente, sondern auch Märkte und Zielgruppen. Mit dem Blick darauf, dass zusätzlich mehr als 1/3 (36%!!) der derzeit Arbeitstätigen bis 2036 in Rente gehen wird, sollte es den Unternehmen Angst und Bange werden, die jetzt nicht alles daran setzen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich ein größtmöglicher Nenner an Menschen wohlfühlen.
Gleichzeitig verändern sich nämlich auch die Erwartungen der Arbeitnehmer*innen, die einen Teil der Baby-Boomer-Rentner*innen ersetzen werde. Besonders jüngere Generationen legen Wert darauf, in inklusiven Umgebungen zu arbeiten. Sie bewerten Arbeitgeber*innen auch danach, wie authentisch deren Diversity-Engagement ist. Lippenbekenntnisse werden schnell entlarvt und in Zeiten von LinkedIn, Kununu und Glassdoor ist es schwer, eine Fassade aufrechtzuerhalten.
Haltung zeigen, wo es zählt
In dieser Situation leise zu bleiben ist keine Option. Es braucht Führungskräfte, die zuhören und nicht mit vorgefertigten Antworten um die Ecke kommen. Inclusive und Mindful Leadership heißt, Bedürfnisse wahrzunehmen, auch wenn diese nicht immer verbal geäußert werden. Und frei nach dem Motto: ‚Ich kann nichts verändern, was ich nicht kenne & nichts fördern, was ich nicht sehe oder verstehe‘, sollten sich Leadership und Management dringend um das fehlende Know-how bemühen und bereit sein, ungerechte Strukturen zu hinterfragen. Es braucht Teams, die Vielfalt als Bereicherung statt als Störung verstehen. Es braucht Prozesse, die möglichst alle mitdenken und niemanden von vorn herein ausschließen. Echter Wandel beginnt bei den Grundlagen: Wie werden Stellen ausgeschrieben? Wo wird rekrutiert? Wer sitzt in Auswahlgremien? Wie sehen Karrierewege aus? Welche Barrieren gibt es - egal ob bewusste und unbewusste? Diese Fragen erfordern ehrliche Antworten und den Mut, liebgewonnene Gewohnheiten zu hinterfragen.
Besonders wichtig, wie oben schon angerissen, ist die Rolle der Führungskräfte. Sie setzen den Ton, prägen die Kultur und treffen die Entscheidungen. Wenn sie Diversity nur als HR-Thema betrachten, wird es nie mehr als ein Nebenschauplatz. Wenn sie es aber als strategisches Zukunftsthema begreifen, kann echte Veränderung entstehen. Sie müssen sich ihrem Role Model Charakter stärker bewusst werden und nicht nur Führung für ein paar Menschen im Team sein, die ihnen selbst am ähnlichsten sind, sondern für alle.
Der Weg nach vorn
Der Deutsche Diversity Day sollte Anlass zur Selbstreflexion sein: Wo stehen wir wirklich? Was ist Substanz, was nur Symbolik? Was müssen wir tun, um Diversity Management und soziale Nachhaltigkeit zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenskultur zu machen? Die Antworten erfordern Ehrlichkeit, Mut und Ausdauer und sie beginnen dort, wo der Aktionstag endet: im Alltag.
Diversity Management ist keine Aufgabe für das HR-Team allein. Es betrifft alle Bereiche eines Unternehmens, von der Geschäftsführung bis zur Produktentwicklung, von der internen Kommunikation bis tief in die Lieferketten hinein. Es ist kein Nebenprojekt, sondern ein Zukunftsthema. Und vor allem: eine Frage der Haltung.
Erfolgreiche Diversity-Strategien zeichnen sich durch wenige, aber entscheidende Merkmale aus: Sie sind langfristig angelegt, haben klare Ziele und Messgrößen, verfügen über ausreichende Ressourcen und genießen Unterstützung von ganz oben im Unternehmen. Sie verstehen Diversity nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck. Nämlich dem Zweck, bessere Ergebnisse zu erzielen und zukunftsfähig zu bleiben.
Beschäftigte, Bewerber*innen und Kund*innen spüren sehr genau, ob Vielfalt nur behauptet oder tatsächlich gelebt wird. Wer es ernst meint, wird nicht nur heute sichtbar sein, sondern auch morgen spürbar bleiben. Denn Vielfalt ist kein Event. Vielfalt ist ein Prinzip. Und Prinzipien gelten jeden Tag, nicht nur an Aktionstagen.